Frische Spargeln Hofladen offen
Ich beginne mein Seminar «Schreiben fürs Web» jeweils mit einer Serie verschiedener Fotos und der Frage «Was ist hier falsch?». Zu den Sujets gehört auch ein Bild eines Bauernhauses im Kanton Aargau, das ich bei einer Wanderung entdeckt habe. «Direktvertrieb» steht da von weitem sichtbar am Scheunentor.
Nein, falsch im eigentlichen Sinn ist das nicht. Aber seine Aufgabe erfüllt das Plakat auch nicht. Denn seine Aufgabe besteht darin, Menschen an den Stand vor dem Haus zu locken, wo der Bauer seine Erzeugnisse feil hält. Der Begriff «Direktvertrieb» lockt niemanden an. Denn die Passantinnen und Passanten müssen den Text übersetzen. Was bedeutet «Direktvertrieb» für mich?
Meine frei erfundene Behauptung: Der gute Bauer war an einer Weiterbildung des schweizerischen Bauernverbandes. An dieser Veranstaltung hat er gelernt, dass er vermehrt auf Direktvertrieb setzen soll, um weniger abhängig von den Grossverteilern zu sein. Und allenfalls den einen oder anderen Batzen mehr zu verdienen.
Also ging der gute Mann nach Hause und schrieb «Direktvertrieb» an sein Scheunentor. So, wie er es im Seminar gelernt hat. Dummerweise hat ihm bei der Weiterbildung niemand gesagt, dass «Direktvertrieb» eine Technik ist. Und dass er diese Technik übersetzen muss, wenn er die Passantinnen und Passanten ansprechen und überzeugen will.
Die Teilnehmer:innen meiner Seminare wissen, was jetzt kommt: «What’s in it for me?» Was habe ich vom Direktvertrieb? Ja, ich könnte mir das zusammenreimen. Doch das macht niemand. Denn die Menschen haben Wichtigeres zu tun, als unverständliche Werbung zu übersetzen, nur weil der Absender aus der Ich-Perspektive kommuniziert. Und nicht aus der Sicht seiner Kundinnen und Kunden.
Als ich gestern auf der Autobahn Richtung Zürich fuhr, ist mir am Strassenrand ein Plakat aufgefallen: «Frische Spargeln Hofladen offen». Gut, die Marketingprofis der Jucker Farm haben 4 x so viele Wörter gebraucht wie der Bauer aus dem Kanton Aargau. Dafür ist ihr Plakat auch 1’000 x besser. «Frische Spargeln» ist das Versprechen, das mir beim Lesen bereits das Wasser im Mund zusammenfliessen lässt. «Hofladen offen» ist der Call to Action, der mir kurz, knapp und klar sagt, dass ich eben diese Spargeln gleich hier und jetzt erstehen kann.
Grossartig!
Ja, wunderbar. Jucker ist ein Vorbild, wie die beiden Brüder das machen.