Max Raabe und Palast Orchester: Wer hat hier schlechte Laune?
Ich hab’s mehr mit den Buchstaben. Und weniger mit den Noten. So wusste ich zum Beispiel bis vor einem Jahr nicht, dass es eine Formation namens «Rammstein» gibt, die offenbar in der Lage ist, lautstark Musik zu machen. Und dazu Feuerwerk zu zünden.
Das war schon früher so: Wenn alle über angesagte Bands diskutierten, stand ich ahnungslos daneben. Schon als Kind und Jugendlicher interessierte mich der Text mehr als die Melodie. Und so genoss ich lieber Hörspiele als Musik. Bis heute ist Musik für mich wie Grafik: Sie dient in erster Linie dazu, den Text in Szene zu setzen.
Kein Wunder, bin ich schon früh bei den Geschichtenerzählern gelandet. Zum Beispiel beim «King of Storytelling», dem Österreicher Ludwig Hirsch. Wikipedia schreibt über ihn: «Bekannt wurde Ludwig Hirsch insbesondere durch seine bissig-sarkastischen Texte, die er auf eine charakteristische Weise oft mit einer romantisch-melancholisch anmutenden Melodik kombinierte. Mit diesem Stil des Antagonismus zwischen Text und Musik verschaffte er der inhaltlichen Aussage vieler seiner Lieder eine verschärfende Brisanz».
Auch Blues Max Werner Widmer ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Wenn er jeweils am Anfang eines neuen Jahres im Restaurant Weisser Wind in Zürich seine Geschichten erzählt, bin ich ebenso zuverlässig dabei, wie der Böögg am Sechseläuten. Eine meiner absoluten Lieblingsgeschichten handelt vom Loser Benz, der beim Schweissen in Südamerika die schöne Mercedes kennenlernt. Und dank seiner Frau, Mercedes Benz, vom ewigen Loser zum strahlenden Sieger wird.
Nun war ich im vergangenen Jahr weiterbildungstechnisch des Öfteren in Berlin. Und besuchte bei dieser Gelegenheit auch eine Show im legendären Friedrichstadt-Palast. Vom Palast zum Palastorchester ist es nicht mehr weit. Und so landete ich bei den Vorbereitungen zu diesem Abend zwangsläufig bei Max Raabe. Wie die meisten habe ich seine berühmtesten Songs «Kein Schwein ruft mich an» (aus dem Film «Der bewegte Mann») und «Mein kleiner grüner Kaktus» gekannt. Und für durchaus hörenswert gehalten. Mehr nicht.
Weil ich gerade nichts Gescheiteres zu tun hatte, habe ich mir auf der Reise nach Berlin das aktuelle Album «Wer hat hier schlechte Laune» angehört. Wie’s der Zufall will, landete wenige Tage später ein Mail mit einer Konzertvorschau für «Wer hat hier schlechte Laune» in meiner Inbox. Und so beschloss ich, mir die Sache aus der Nähe anzusehen. Ich bin selten mit so gemischten Gefühlen an ein Konzert gegangen wie zu Max Raabe ins Kongresshaus in Zürich. Ein, zwei Songs im Stil der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrtausends kann man sich ja durchaus einmal hören. Aber einen ganzen Abend lang?
Max Raabe hat mich eines Besseren belehrt: Man kann! Und wie!!
Die Ernsthaftigkeit, mit der Max Raabe auf der Bühne steht, seine Lieder ankündigt und seine Songs zum Besten gibt, ist schlichtweg genial. Die meisten Künstler brüllen zu Beginn ihrer Darbietung ein «Guten Abend Zürich in die Menge» und werden von eben dieser frenetisch dafür gefeiert, dass sie ohne GPS wissen, wo sie sich gerade befinden. Nicht Max Raabe. Er begrüsst das Publikum mit dem seriösesten Gesicht seit Leon Huber. Und ohne die kleinste Anbiederung an den Veranstaltungsort oder die aktuelle Weltlage.
Herr Raabe macht dafür mit jeder Faser seines Körpers klar, dass er willens ist, das hochgeschätzte Publikum einen Abend lang mit seiner Musik zu erfreuen und ihm dabei den allergrössten Respekt entgegenzubringen. Weshalb er sich auch, wie das ganze Orchester, in Schale geworfen hat. Ähnlich wie Ludwig Hirsch seine bitterbösen Texte gerne in lieblichen Melodien versteckte, versteckt Max Raabe seine zum Schreien komischen Ansagen und Liedtexte hinter einem Blick, der jeden Buttler der verstorbenen Queen Elizabeth als Clown erscheinen lässt. Selbst Freiherr von Knigge könnte an diesem Abend noch allerhand lernen. Wer nicht höllisch aufpasst, bekommt nicht mit, wie diametral sich der Text vom Gebaren von Max Raabe unterscheidet.
Das Palastorchester besteht in erster Linie aus Herren im fortgeschrittenen Alter. Auch sie gehen die Sache mit einer Konzentriertheit und Seriosität an, wie man sie sonst nur von klassischen Orchestern kennt. Am Ende eines Liedes stellt Max Raabe jeweils eine Person aus dem Orchester vor. Zum Beispiel Frau Crisafulli an der Violine und Herrn Dietrich am Sousaphon. Die Musiker:innen zaubern im Laufe des Abends eine ganze Reihe von Instrumenten auf die Bühne, die ich nie zuvor gesehen habe.
Mit jedem Lied tauche ich noch ein bisschen tiefer ein in diese wunderbare Stimmung, die Max Raabe und das Palastorchester dem Publikum an diesem Abend kredenzen. Ich lasse mich treiben und drifte ab wie im Solebad im Fortyseven in Baden. Es ist eine Reise in eine längst vergangene Zeit, als die Welt noch in Ordnung war. Absolut meditativ. Und unglaublich lustig. Irgendwann kann ich nicht mehr: mir kullern vor Lachen die Tränen übers Gesicht wie weiland das Wasser an den Giessbachfällen. Die Standing Ovation am Ende des Konzertes fügt sich mit einer Selbstverständlichkeit ins Programm ein, wie ich sie nie zuvor erlebt habe.
Grossartig!
Auf der Recherche nach einem Bild zu diesem Blogartikel bin ich auf den offiziellen Text zur Tournee von Max Raabe gestossen. Man soll ja nicht alles glauben, was sich Werbetexter so aus den Fingern saugen. Aber dieser Text ist dermassen auf den Punkt, dass ich ihn hier unbedingt zitieren will.
Verblüffend, wie die Frage «Wer hat hier schlechte Laune», immer gute Laune macht, unabhängig von der individuellen Gemütsverfassung. Auf ebendiese Weise wirkt auch die neue Tour «Wer hat hier schlechte Laune» von Max Raabe & Palast Orchester. Egal wie die Laune vor dem Konzert ist, anschliessend verlassen die Zuschauer den Saal mit einem Lächeln.
Der Titel «Wer hat hier schlechte Laune» entstammt dem neuesten Album des Sängers und Erfinders des «Raabe-Pop». Zusammen mit seinen bewährten Co-Schreibern der letzten Jahre, Annette Humpe, Achim Hagemann, Peter Plate und Ulf Leo Sommer, präsentiert Max Raabe darauf Lieder, die vom zarten Erblühen und Verwehen der Liebe handeln. Von Gefühlsverwirrungen, aber auch von der Freude, mit Strom zu fahren, sowie vom Wunsch, Hummeln zu streicheln und mit Hirschen durch die Wälder zu pirschen.
Diese bunten Aspekte des Lebens würzen ab Januar 2023 die «Wer hat hier schlechte Laune?»-Tour. Dass die Vermischung der Eigenkompositionen Max Raabes mit Original-Arrangements der 20er / 30er einen unterhaltsamen Konzertabend ergibt, haben Max Raabe & Palast Orchester mit ihren letzten Shows längst bewiesen. In «Wer hat hier schlechte Laune?» ziehen Max Raabe & Palast Orchester nun alle Register ihres jahrzehntelang lang gereiften Könnens. Neben Titeln der aktuellen CD werden auch die neuen Klassiker wie «Guten Tag, liebes Glück» zu Gehör gebracht.
Schwerpunkt des Abends bleibt aber selbstverständlich die Musik der 20er/30er Jahre: von Hand verlesene Original-Arrangements werden nuancenreich zum Leben erweckt, wie es nur Max Raabe & Palast Orchester können: «Unter den Pinien von Argentinien», «Mein Gorilla hat ne Villa im Zoo», «Ich will von der Lilli nichts wissen».
Mit Annette Humpe hat Max Raabe «Ein Tag wie Gold» geschrieben, das Titelstück der aktuellen «Babylon Berlin» Staffel. Hier geht das Palast Orchester noch einmal richtig aus sich heraus und zeigt, zu welchen Klangfarben es fähig ist. Überhaupt präsentieren die durch virtuose Eleganz bestechende Geigerin mit ihren frisch gebügelten Kollegen und Multi-Instrumentalisten die neu konzipierte Bühnenshow mit vielen Überraschungen.
Max Raabe ist einer, der aus den unterschiedlichsten Epochen und Stilen zu schöpfen vermag und doch alles zu einem unverwechselbaren individuellen Ausdruck verschmilzt. In der pop-musikalischen Landschaft der Gegenwart ist er eine singuläre Gestalt -beseelt vom Witz vergangener Zeiten; aber auch vom Wissen über den unaufhörlichen Wandel der Welt.