Verständliche Texte – die SVA macht’s vor

SVA ist die Abkürzung für Sozialversicherungsanstalt. Ein absolutes Unwort. Klar, dass eine Sozialversicherungsanstalt auch wie eine Sozialversicherungsanstalt schreibt. Könnte man meinen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die SVA schreibt die verständlichsten Briefe der Schweiz: Kurz. Prägnant. Verständlich. Beamtenstil? Kennt die SVA nicht!

Ich werde nicht müde, in meinen Seminaren den Schreibstil der SVA des Kantons Zürich zu loben. Ich kenne keine andere Organisation, die so gut und so verständlich wie die SVA kommuniziert. Die Teilnehmenden schauen mich jeweils mit grossen Augen an. Machst du Witze? Nein, mache ich nicht!

Jedes Mal, wenn ich ein Couvert der SVA aus dem Briefkasten fische, bekomme ich einen kleinen Herzinfarkt: Die Rechnungen sind horrend und ich habe nicht den blassesten Schimmer, woher ich das viele Geld nehmen soll, um die Rechnung fristgerecht zu bezahlen.

Ich verstehe beim besten Willen nicht, weshalb ich so viel AHV bezahlen muss. Dafür verstehe ich alles andere, was mir die SVA schreibt, umso besser. Denn die SVA kommuniziert so klipp und klar, dass ich problemlos verstehe, was ich tun muss. Und das ist eine ziemlich reife Leistung, wenn man bedenkt, wie viele Menschen bei der SVA Tag für Tag in die Tasten greifen.

Nach vielen Jahren SVA-Korrespondenz wollte ich wissen, wie eine so grosse Organisation während so vielen Jahren so gute Briefe schreiben kann. Ich habe die zuständige Person ausfindig gemacht und um ein Interview gebeten. Die nette Dame hat mich zu einem Kafi empfangen und eine Stunde lang aus dem Nähkästchen geplaudert.

Wer hätte es gedacht? Die Korrespondenz der SVA ist kein Zufall! Sondern das Resultat harter Arbeit. Diese beginnt mit regelmässigen Schreibtrainings, zu denen die Mitarbeitenden aufgeboten werden. Das machen andere Organisationen auch. Doch die Wirkung ihrer Schreibtrainings verpufft in der Regel schon nach kurzer Zeit.

Der grosse Unterschied: die Briefe der SVA werden kontrolliert. Nicht alle und nicht immer. Aber es finden regelmässig Stichproben statt. Wer die Richtlinien im Handbuch «So schreiben wir» nicht beachtet und als Begrüssung «Sehr geehrte Damen und Herren» schreibt, Sätze mit mehreren Aussagen macht oder vor dem Datum «Zürich» schreibt, darf nochmals ins Schreibtraining.

Wenn ich einem Unternehmen vorschlage, einen ähnlichen Weg zu gehen, schauen mich viele Auftraggeber ungläubig an. Nach einem Schreibtraining die Umsetzung kontrollieren? Darf man das den Mitarbeitenden zumuten? Sie scheuen eine solche Qualitätssicherungs-Massnahme wie der Teufel das Weihwasser.

Das Resultat: Ihre Briefe und ihre E-Mails sind zu lang und zu kompliziert. Dementsprechend machen die Empfängerinnen und Empfänger nicht das, was sie tun sollten. Oder -noch schlimmer- sie rufen an. Und lassen sich alles nochmals erklären. Was ein Unternehmen unglaublich viel Zeit und noch mehr Geld kostet.

Auch die Darstellung ist bei der SVA top: Wie oft muss ich bei Briefen oder Rechnungen nach meiner Kundennummer suchen. Oder das Rechnungsdatum? Nicht bei der SVA. Die drei relevanten Informationen befinden sich allesamt im oberen Teil. Sie haben so viel Weissraum um sich herum, dass ich sie sogar ohne Brille und auf Anhieb finde.

Das Allerbeste an den Briefen der SVA sind meiner Meinung nach die beiden Betreffzeilen. Sie sagen auf einen Blick, worum es geht. Und was zu tun ist.

Grossartig!